Schriftzug Geschichtswerkstatt Barmbek in weißen Buchstaben vor einer roten Backsteinmauer

Barmbek Erinnerungen von Uwe Preuß

Vorfall an der Langenfortschule (1951/52)

Backsteinbau mit vielen weißen Fenstern und Vorgarten, sonniger Tag

Schule Langenfort 1960


Mein Bericht beinhaltet keine Heldentat, ist nicht weltbewegend, nicht lustig, nicht traurig, sondern steht für sich. Vielleicht ist er sogar langweilig, verwirrend und uninteressant. Meiner Meinung nach wirft er ein kleines Licht auf die Nach-Nazizeit.

Es muss nach meiner Erinnerung 1951/52 gewesen sein, als wir aus beengten Untermieterverhältnissen in der Sierichstraße nach Barmbek in das Haus in der Steilshooper Straße Nr. 191 in die „eigene“ Mietwohnung gezogen waren. Besuchte ich vorher 1 Jahr lang die Grundschule in der Voßstraße am Stadtpark, so war ab jetzt die Schule in der Langenfortstraße meine Grundschule (2. Klasse, Klassenlehrerin Frau Günzel). Das ist mein Bezugspunkt zu Barmbek.

In der Schule herrschte die Regel, dass nach der Pause im Schulhof nach dem Klingelzeichen die Jungen in das rechte Tor und die Mädchen in das linke Tor gingen. Die Treppe hoch zu den Klassenräumen müsse „gesittet“ und langsam benutzt werden. Soweit die Theorie! In der Praxis aber war es so, dass vor und nach dem Tor und die Treppe hinauf immer eine Drängelei und Schieberei stattfand.

Zu Beginn meiner Schulzeit, als ich in der Langenfortschule noch neu war, steckte ich in solch einem Geschiebe auf der Treppe, nachdem die Schulhof- klingel getönt hatte. Oben auf dem Treppenabsatz stand die Pausenaufsicht, eine ältere Lehrerin (deren Namen ich nicht genau erinnere; ich nenne sie hier Frau Meier). Sie winkte mich aus der Menge heraus zu sich. Ich, -eingedenk der Ermahnungen meiner Mutter, den Anweisungen der Lehrer immer nachzukommen – kämpfte mich durch zur Lehrerin. Ich biss aber, als ich mich ihr näherte, noch schnell von meinem Schulbrot ab, das ich von zu Hause mitbekommen hatte. Ich kaute das Brot, als ich vor ihr stand. Da fing sie an zu schimpfen, etwa so, dass ich kein Benehmen hätte, in ihrer Gegenwart zu essen. Und ehe ich mich versah, hatte ich eine Ohrfeige weg. Mir ist jetzt nicht in Erinnerung, ob ich noch weitere Belehrungen bekam, z.B. wie man die Treppe zu benutzen habe. Zu solchen Hinweisen wäre ja -rückblickend betrachtet-Anlass gewesen. Ich muss dann in den Klassenraum geschickt oder gelassen worden sein und wie ich den Unterricht in der Klasse hinter mich gebracht habe, ist mir auch entfallen.

Mittags nach der Schule berichtete ich den Vorfall meiner Mutter. Sie sagte nichts dazu. Sie muss ihn aber meinem Vater mitgeteilt haben, der immer abends von der Arbeit nach Hause kam; denn mein Vater fragte mich zu dem Vorfall aus. Er regte sich ganz fürchterlich auf. Er wollte darüber mit dem Schulleiter sprechen. Heute würde ich sagen, er wollte eine Dienstaufsichtsbeschwerde einlegen. Damals kannte ich natürlich den Begriff und die Sache nicht. Ich konnte keinen Zusammenhang zwischen der Ohrfeige und dem Schulleiter sehen, war froh, dass ich nicht das Ziel des Unmuts meines Vaters war.
Am nächsten oder übernächsten Tag in der Schule erklärte mir ein größerer Schüler, der den Vorfall wohl mitbekommen hatte, dass „die alte Frau Meier im ‚Kaazett‘ gewesen wäre“. Er sagte es so, als sei das ein Makel der Lehrerin, jedenfalls hatte ich ihn so verstanden. Ich konnte mit der Information des Mitschülers eigentlich nichts anfangen, hatte aber ein neues Wort gelernt. Und dieses Wort, das ich bis zu diesem Zeitpunkt nicht kannte, überbrachte ich mittags meiner Mutter mit dem Bemerken, dass Frau Meier im „Kaazett gewesen wäre“.

Wenn ich gedacht hätte, dass meine Mutter durch meine Nachricht wie mein Vater explodieren würde, so hatte ich mich sehr getäuscht. Meine Mutter verhielt sich wiederum indifferent. Und auch mein Vater fragte mich nicht nach Frau Meier. Als ich ihm dann von mir aus von dem „Kaazett“ erzählte, war er nicht daran interessiert. Für ihn war die Sache erledigt, für mich ganz unerklärlich und plötzlich. Wir erwähnten das Ereignis aber auch nie wieder in der Familie. Erst jetzt, nach 70 Jahren taucht die Erinnerung wieder auf.

Nach allem glaube ich, dass mich die ganze Angelegenheit irgendwie beeindruckt hat, sonst wäre sie nicht wieder nach so langer Zeit erschienen. Wenn ich jetzt auf mein Leben zurückschaue, dann vermute ich sogar, dass mich der Vorfall auch ein wenig geprägt hat.
Ansonsten ist mir von der Schulzeit in der Langenfortschule wenig im Gedächtnis geblieben.

 

Uwe Preuß, 2021

Barmbek Erinnerungen von Uwe Preuß