Schriftzug Geschichtswerkstatt Barmbek in weißen Buchstaben vor einer roten Backsteinmauer

Barmbek Erinnerungen von Prof. Dr. Gerd Kobabe

Unser Geldschrank unter Trümmern in der Hamburger Straße

Ich bin mit Eltern und Großeltern in der Hamburger Straße 18 aufgewachsen, wo meine Eltern ein Juweliergeschäft – „Julius Kobabe & Sohn“ – hatten. In meiner Jugend habe ich den umliegenden Stadtteil mit meinem Tretroller (Vollgummibereifung) ausgiebig erkundet. Zur Schule gegangen bin ich im Klinikweg 5. Mit 10 Jahren kam ich in die Oberschule Uferstraße. Kurz danach brach der Krieg aus. Nach der Einberufung meines Vaters und unseres Uhrmachers zur Wehrmacht wurde das Geschäft wie so viele andere „vorübergehend“ geschlossen. Zu Beginn der Sommerferien 1943 schickte mich meine Mutter zu Onkel und Tante nach Hertefeld, ein kleines Dorf im Havelländer Luch. Die Schreckensnächte in den letzten Julitagen habe ich also nicht direkt miterlebt. Meine Mutter wurde mit anderen Leuten aus dem Luftschutzkeller aus der brennenden Stadt gefahren.

 

Schaufenster des Geschäfts Julius Kobabe & Sohn mit Uhren und Schmuck
Juweliergeschäft Hamburger Straße

 

Die Häuser zwischen der Hamburger Straße und der Oberaltenallee wurden durch Bomben und Feuer Ende Juli 1943 fast alle mehr oder vollständig zerstört. So erging es auch unserem Haus mitsamt dem Uhren-, Gold- und Silberwarengeschäft. Was blieb, war ein großer Trümmerhaufen, aus dem meine Mutter später nur eine heile Tasse und einen heilen Eierbecher herausklauben konnte. Sorgen machte meinen Eltern der Geldschrank, der irgendwo unter den Steinen lag. Mein Vater bekam erst im Oktober Sonderurlaub, damit er regeln konnte, was noch zu regeln war. Vornehmlich musste der Inhalt des Geldschranks geborgen werden. Mein Vater und ich machten uns also mit Kreuzhacke, Hammer und Meißel wie die Panzerknacker auf den Weg von Farmsen, wo wir Unterkunft gefunden hatten, nach Süd-Barmbek. Die Walddörferbahn fuhr nur bis zum Bahnhof Barmbek; dann ging’s zu Fuß weiter. Man hatte uns zwei Hilfskräfte zur Verfügung gestellt ( zwei frontuntaugliche alte Männer, natürlich in entsprechender Uniform ). Zu viert machten wir uns an die Arbeit. Da die Rückwand unseres Hauses stehen geblieben war, konnten wir die wahrscheinliche Lage des Geldschranks unter dem Trümmerberg einigermaßen genau lokalisieren. Wir hatten Glück und fanden den Schrank, nachdem wir Steine und Steinbrocken weggeräumt hatten. Aber welche Überraschung. Der eiserne Schrank war noch so heiß, dass wir ihn nicht anfassen konnten! Und das ist kein Jägerlatein. Fast zehn Wochen hat er nach dem Bombenfeuer wie in einem Backofen unter dem Schutt gelegen und strahlte immer noch so viel Hitze aus, dass ein Arbeiten an ihm unmöglich war. Wir fragten uns, wie es wohl in seinem Innern aussehen mag und ob wir die Schlösser überhaupt aufkriegen würden? Nachdem wir den Schrank zum Auskühlen noch etwas weiter freigelegt hatten, wurde er zur Tarnung mit herumliegenden Blechen leicht bedeckt, und dann fuhren wir enttäuscht unverrichteter Dinge wieder nach Hause.

 

Trümmerhaufen zwischen Wohnhäusern, Überreste von Gebäuden und Mauern

Trümmer Hamburger Straße

 

Am übernächsten Tag wurde die Tarnung wieder beiseite geräumt. Jetzt kam der spannende Moment, an dem sich herausstellen wird, ob sich die Schlösser öffnen ließen. Der Schrank war zum Glück auf seine Rückseite gefallen, sodass man an die Schlösser leicht herankam. Und dann – oh Wunder, sogar das komplizierte Sicherheitsschloss gab nach und die Schranktür ging auf.
Den Schatzgräbern bot sich ein pechschwarzes Etwas. Die Kartonagen, in denen die Taschen- und Armbanduhren und die Schmuckwaren verpackt waren, waren vollkommen verkohlt. Rührte man die Masse an, zerbröselte einem alles aus den Händen. So blieb nichts anderes übrig, als mit einem Kehrblech die schwarze zerfallende Masse zusammen mit den Schmuckwaren in mitgebrachte alte Emaille-Eimer zu schaufeln. Im unteren Teil des Geldschranks hatte meine Mutter meine und meines Vaters Briefmarkenalben verstaut. Alles schwarz und zerfleddert. Nachdem die beiden Hilfskräfte je einen goldenen Ring als Dank für ihre Hilfe bekommen hatten und die Eimer mit Zeitungspapier abgedeckt waren, zogen wir wieder zur Hochbahn und fuhren nach Hause. Wenn die Mitfahrenden gewusst hätten, was da in den alten Eimern für Schätze drin gewesen sind! Es hat noch Tage gedauert, bis alles mit der Pinzette Krümelchen für Krümelchen nach kleinsten Edelsteinen durchsucht worden war; denn diese waren von den verkohlten Bröckchen kaum zu unterscheiden.

Barmbek Erinnerungen von Prof. Dr. Gerd Kobabe